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Der mit der Sau tanzt

Max Stiegl in seiner Gaststube im Gut Purbach am Neusiedler See in Österreich.
Ruhe vor dem Sturm: Noch sind die Sautanz-Gäste nicht eingetroffen, aber alles steht schon bereit. In den Kesseln dampft bereits das Wasser, mit dem die Sau später gebrüht wird.
Alles, was man zum Zerteilen braucht, liegt bereit.
Jeder Gast bekommt ein Glas in die Hand – für Wein, Bier, Punsch oder Wasser.
Der ganze Körper muss mit Saupech eingerieben werden, damit sich die Borsten lösen.
Das kochend heiße Wasser tut ein Übriges, damit sich die Borsten mit der "Sauglocke" leicht abschaben lassen.
Mit Hilfe von Ketten wuchten die Männer das Schwein hin und her, damit die gesamte Oberfläche mit dem heißen Wasser in Berührung kommt.
Sorgsam und mit Gefühl öffnet Michael Andert die Leibeshöhle. Der Penis des Ebers ist bereits freigelegt und baumelt über dem Bauch. Auch er kann später verspeist werden!
Ein durchaus ästhetischer Anblick: Der entnommene Dünndarm.
Der Dickdarm mit dem darüber liegenden Bauchnetz und den hauchfeinen Faszien – Wunder der Natur.
Zusammen mit einem Stück Brot sind die auf offenem Feuer erhitzten Blunzn (Blutwürste) das erste herzhafte Frühstück.
Aus einer der abgezogenen Klauen des Schweins wird der erste Slivovitz getrunken – dieses "Stamperl" hat genau die richtige Größe.
Ein andächtiger Moment: Max Stiegl hat das Herz entnommen und verteilt es in kleinen Stücken roh an seine Gäste.
Schon vorbereitet: Schweinehirn, das gleich zusammen mit Rührei, viel Majoran und Ajvar in der großen Pfanne gebraten wird.
Hirn mit Ei! Eine sehr feine Spezialität ohne jeden Igitt-Faktor. Man muss es nur mal probieren.
Schweinskopfsülze auf Toast mit Ajvar - lecker!
Schweinefleisch mit würziger Speckkrone vom Grill.
Der Grill kommt den ganzen Tag über nicht zur Ruhe. Immer wieder neue Stücke Fleisch werden darauf gebraten.
Michael Andert schneidet aus dem Filet feinsten Schweinetatar.
Währenddessen köcheln Ohren, Schwänze und diverse andere Fleischstücke zusammen mit ganzen Zwiebeln im großen Bottich über dem Feuer.
Frisch aus dem Ofen: der Krustenbraten. Dazu gibt es in Paprika fermentiertes Kraut.
Gesottene Schweineohren mit Ajvar und frischem Meerrettich – eine Delikatesse!
Auch Kohlenhydrate müssen sein: Frische Topfenknödel mit buttrigen Semmelbröseln!
Geduldig rührt Michael Andert die Speckwürfel – es dauert Stunden, bis das Fett ausgelassen ist.
Aus der Küche kommt ein riesiger Schinkenbraten - er war viele Stunden im Rohr und wird jetzt mit frischem Meerrettich serviert.
Vater und Sohn beim Fachsimpeln
Selbst den Rüssel kann man essen – frisch gegrillt und fein gewürzt.
Krönender Abschluss eines langen Tages: In frischem Schweineschmalz gesiedete Krapfen – mit einem Schuss Marmelade und Puderzucker ein großartiges Dessert.

Zu Besuch bei Max Stiegl und seinem „Sautanz“ im Burgenland. Ein archaisches Erlebnis. 

Es ist noch früh an diesem kalten Samstagmorgen Anfang Dezember. Halb acht. Gerade erst dämmert der Tag herauf aus dem trüben Hochnebel. Stille liegt über den Häusern. Nur in einem herrscht schon geschäftiges Treiben: im Hof von Gut Purbach, einem Gasthaus mit guter Küche und wenigen Zimmern zum Übernachten, betrieben von Sterne-Koch Max Stiegl. Schon seit dem 16. Jahrhundert ist der Hof ein Haus der Gastlichkeit, mitten in Purbach, einem 3000-Seelen-Dorf rund 60 km südöstlich von Wien am Neusiedler See im Burgenland gelegen, nahe der Grenze zu Ungarn. Seit 2007 hat Max Stiegl es zu einem Hotspot für Gourmets aus aller Welt ausgebaut. 

Die Betriebsamkeit am frühen Morgen hat ihren Grund: Seit fünf Uhr sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Beinen, um das Fest des Tages vorzubereiten: den Sautanz. Lichterketten schmücken die Ränder der Dächer, Scheinwerfer verströmen rotes Licht an die weißen Hauswände. Das schwüle Rot steht in seltsamem Kontrast zu den eisigen Temperaturen. Man fröstelt gleich etwas weniger. 

Wasser siedet in drei großen Kesseln über offenem Feuer. In einer großen Blechtonne glühen Holzscheite vor sich hin und erwärmen eine große flache Metallschale, in deren Mitte ein kleiner Kamin ausgespart ist, über den der Rauch entweichen kann. Gartenschirme spannen sich als Regen- und Schneeschutz über Tische, auf denen schon allerlei bereitliegt: ganze Batterien von Wein-, Sekt- und Bierflaschen, sorgsam gehütet von Laszlo, dem immer freundlich zugewandten Sommelier; dampfend heißer Früchtepunsch mit und ohne Alkohol; eingelegtes Gemüse, geriebener Meerrettich, gehäutete Paprika; eine Schüssel mit geschnetzelter Leber, ein ziseliertes Silbertablett mit Blutwürsten, daneben viele kleine Gläser mit Sülze; Messer aller Größen und Schärfen; ein langer hölzerner Rührlöffel, eine Säge, ein kleines Beil, ein Sieblöffel. Und dann noch zwei Tütchen mit hellem Pulver. „Saupech“ steht darauf. Saupech? Nie gehört. 

Direkt hinter dem großen Scheunentor, dem Eingang zum Gut, poliert eine Mitarbeiterin Weingläser und stellt sie auf einem großen Holztisch bereit, aufmerksam beobachtet von einem ausgestopften Pferdekopf mit einem dekorativen Hütchen auf den Ohren. Es sind viele Gläser. Denn man erwartet Gäste. Viele Gäste. Eine erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft. 

Punkt acht Uhr trudeln die ersten ein, bekommen ein rotes Band mit der Aufschrift „Sautanz“ ums Handgelenk. Rasch füllt sich der Hof. Und kurz nach acht ist es soweit: die Menge, inzwischen auf ca. 150 Personen angewachsen, drängt zum hinteren Ausgang. Und siehe: Da kommt sie, die Sau. Vor wenigen Minuten erst, mitten aus einem glücklichen Schweineleben heraus auf der nahegelegenen Weide geschossen und abgestochen, das Blut – ca. anderthalb Liter – ist bereits gerührt (damit es nicht gerinnt) und in einem Eimerchen mit Deckel bewahrt. Vom Anhänger, der es nach Purbach gebracht hat, rutscht das korpulente Tier in den bereitgestellten traditionellen Holztrog und wird mit vereinten Kräften in den Innenhof gewuchtet. 

Und jetzt zeigt sich, wofür das Saupech gut ist: Helfende Hände streuen das kieferharzhaltige Pulver über das Tier und reiben es kräftig von allen Seiten in die Borsten, bevor das im Hof in den großen Bottichen erhitzte, kochend heiße Wasser über die Sau gekippt wird. Über zwei Ketten wird der schwere Körper immer wieder durch das Wasser gezogen, damit er auch wirklich überall benetzt ist. Eine Knochenarbeit ist das. Nicht ungefährlich dazu, denn das heiße Wasser schwappt dabei gerne mal über den Rand. Und dann muss es schnell gehen: Mit der „Sauglocke“, einem kleinen Metallkegel, werden die durch das Harz verklebten Borsten abgeschabt. Zum Schluss liegt das Schwein rosig im trüben Wasser. Der erste Slivovitz macht die Runde. Aber nicht in einem Schnapsglas, sondern in den acht von den vier Schweinepfoten abgeknipsten Klauen – Stamperl der besonderen Art und für die, die eines ergattert haben, eine spezielle Trophäe. Und damit der Schnaps nicht auf leeren Magen trifft, hat Max Stiegl zuvor schon Blutwurst – in Österreich Blunzn genannt – aus einer früheren Schlachtung über dem offenen Feuer gebraten, und jeder bekommt ein Stück davon ab. Breakfast is served! 

Eine jahrhundertealte Tradition
Der „Sautanz“ ist eine alte Tradition, nicht nur im Burgenland, sondern in vielen Ländern Europas. Der Name ist durchaus doppeldeutig: zum einen ist es eben ein Schlachtfest, bei dem zu Live-Musik durchaus auch mal getanzt wird, zum anderen zappelt das Schwein beim Abstechen. Seit die EU jedoch ihre seltsamen Regeln erlassen hat, sind Hausschlachtungen vielerorts nur noch mit Ausnahmegenehmigungen möglich. Bis dahin war es jahrhundertelang Brauch, im November oder Dezember ein Schwein zu schlachten, als Fleisch- und Fettvorrat für den Winter. Vom Ringelschwanz bis zum Rüssel wird dabei alles verwertet – gekocht, geräuchert, gebraten, gepökelt, eingeweckt, ausgelassen, verwurstet. 

Max Stiegl veranstaltet solche Sautänze schon seit 2007. Eigentlich heißt er nicht so, der Max. Als Željko Raškovic wurde er 1980 in Slowenien geboren und kam mit seinen Eltern knapp zehn Jahre später nach Österreich. Schon als 16-Jähriger entschied er sich für eine Kochlehre. Sein erster Chef, Günther Abfalter in Golling im Salzburgerland, nannte ihn der Einfachheit halber Max, den Nachnamen verdankt er seiner Vorliebe für Stiegl-Bier. So war „Max Stiegl“ geboren, kurz und knackig, leicht zu merken. 2007 vertraute ihm der inzwischen verstorbene Wiener Rechtsanwalt Hans Bichler das Gut Purbach an, das Max Stiegl seither erfolgreich führt. Es ist mit einem Stern beim Guide Michelin und vier Hauben bei Gault & Millau ausgezeichnet. 2020 verlieh ihm Gault und Millau Österreich den Titel „Koch des Jahres 2021“. Derlei Lametta ist Max Stiegl allerdings herzhaft wurscht: „All diese Auszeichnungen braucht man so dringend wie Hämorrhoiden“, sagte er 2021 in einem Interview mit dem SZ-Magazin. „Ich wurde auch ‚Bierwirt des Jahres‘ und trinke keinen Alkohol. Mir sind solche Titel komplett egal.“ 

Viel wichtiger ist ihm, dass die Menschen verstehen, dass man von einem geschlachteten Tier alles, wirklich alles essen soll und kann – man muss es nur schmackhaft zubereiten. Und so kommen bei Max Stiegl nicht nur Innereien auf den Tisch, von Hirn über Herz, Zunge, Leber und Nieren bis zu Hoden, sondern auch Tiere aller Art. Biber zum Beispiel. Ein übrigens rein vegan lebendes Tier. Wenn Biber in der Natur überhand nehmen (was auch hierzulande vorkommt), werden sie normalerweise geschossen und entsorgt. Darüber kann der Max sich mächtig echauffieren: „Ich finde es sinnlos, dass man ein Stück Fleisch mit 40, 50 Kilogramm, ein Lebewesen, erlegt und wegwirft, und dann essen wir Fleisch aus Argentinien oder Brasilien. Das verstehe ich nicht.“, sagt er in einem Interview, das Anja Wasserbäch Anfang Dezember 2023 für die Stuttgarter Zeitung mit ihm geführt hat. Auch gegen die Verwertung von einheimischen Vögeln wie Schnepfe, Eichelhäher und Star hat er nichts – wenn sie in der Natur im Übermaß vorkommen. Nur eines hasst er: die Massentierhaltung. Nie würde er ein Tier aus nicht artgerechter Aufzucht verarbeiten. Nie. 

Auch deshalb pflegt Max Stiegl die Tradition des Sautanzes. Mit Erfolg. Das Interesse ist groß, nicht nur in Österreich: „Auf jeden Termin gibt es gut 1000 Anmeldungen“, sagt er. Jeder Sautanz dauert von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends. Mehr als 150-180 Leute passen nicht in den Hof, die Teilnehmerzahl ist deshalb begrenzt. Für 180 Euro gibt es dafür nicht nur das einmalige Erlebnis, zuschauen zu können, wie ein Schwein komplett verarbeitet wird, sondern es gibt auch den ganzen Tag über Essen und Trinken satt. Auf eines weist Max Stiegl jedoch schon gleich zu Beginn hin: Betrunkene werden des Hofes sanft, aber nachdrücklich verwiesen. Der Sautanz soll kein Besäufnis sein. Man zeigt Respekt nicht nur dem Tier gegenüber, sondern auch im Umgang untereinander und miteinander. Der in Österreich durchaus weitverbreitete Standesdünkel ist hier fehl am Platz. Weshalb alle sich duzen, ganz egal, woher sie kommen und wie viele Titel sie angehäuft haben. 

Zehn bis fünfzehn Sautänze veranstaltet Max Stiegl pro Saison, die bis Ende Januar reicht. Meist macht er das zuhause im Gut Purbach, aber er tourt auch zu anderen Orten, sofern seine Bedingungen erfüllt sind. Geschlachtet werden grundsätzlich nur Tiere, die artgerecht gehalten wurden. 

Nichts für schwache Nerven
Im Hof von Gut Purbach ist die Sau inzwischen von allen Borsten befreit, nur der Kopf wurde ausgespart. Schweinchenrosa im wahrsten Sinne des Wortes liegt das mächtige Tier im Holztrog. Jetzt gilt es, den ca. 230 kg schweren Körper mit den Hinterläufen an ein großes Holzgestell zu pflocken. Dafür präpariert Michael Andert, Winzer aus Pamhagen an der österreichisch-ungarischen Grenze, ein erfahrener Sautänzer und langjähriger Freund Max Stiegls, eine starke Sehne frei und schlitzt das Schwein zwischen den Beinen etwas auf, damit die Haxen gespreizt werden können und das Gewicht sich besser auf den Balken verteilt. Vier starke Männer sind nötig, um das Gestell mit der Sau aufzurichten. Da darf nichts schiefgehen, sonst landet das Tier mitsamt den Kerlen im Kies. Heute klappt alles – die Sau hängt und ist schlachtbereit. 

Erst jetzt setzt Max Stiegl das Messer an und teilt die Schwarte vom Einschnitt an den Schenkeln bis zur Brust. Michael Andert übernimmt und schlitzt die Sau weiter auf. Wobei sich zeigt: Es ist gar keine Sau, es ist ein Eber. Zartfühlend wird der verschrumpelte Penis freigelegt und baumelt nun an einem langen Strang über dem Bauch. Mit viel Gefühl und Sorgfalt, fast zärtlich, teilt Mike, wie ihn hier alle nennen, Fett, Fleisch und Faszien, bis die Eingeweide freiliegen. Ein Beil spaltet die Knochen am Becken weiter auf, damit das Gekröse sich besser herausziehen lässt. Der ausgelöste Darm wandert mitsamt dem Magen in einen Metalltrog, ebenso das gespinstartige Bauchnetz, das später als fetthaltige Hülle für Braten oder andere Gerichte dient. So freiliegend entfaltet das Gedärm eine eigenartige Schönheit – ein feines Netz aus Blutgefäßen durchzieht die äußere Haut des Dünndarms, die gekammerten Wülste des Dickdarms verbinden feinste Häute und fettgepolsterte Sehnen. Es ist überhaupt nicht igitt, sondern offenbart eine staunenswerte Ästhetik. 

Vorsicht ist geboten, wenn die Leber freipräpariert wird: Verletzt man dabei die Gallenblase mit ihrem bitteren Inhalt, kann man das Organ verwerfen. Heute geht alles gut. Neben die Leber hängt Michael nun auch die Lunge an einen der Holzpflöcke des Saugalgens (später wird daraus das in Bayern und Österreich beliebte, säuerlich zubereitete „Beuscherl“). 

Und dann schiebt Max Stiegl, der schon ungeduldig auf diesen Moment gewartet hat, den ganzen Arm in die jetzt voll eröffnete Leibeshöhle. Sein Ziel ist das Herz. Noch warm liegt es dampfend in seiner Hand. Er setzt das Messer an und schnippelt das Organ in kleine Stückchen, die er ringsum an die Gäste verteilt. Anfangs aus der Hand, später legt er das Herz auf das von ihm 2018 im Servus-Verlag publizierte Kochbuch „Sautanz“ und zerteilt es dort weiter. Es mutet an wie ein kleiner Altar: sein von Herzblut verschmiertes Buch, von ihm mit Herzblut verfasst, als Tribut an das Schwein, das sein Leben gegeben hat, um Menschen zu sättigen. Allerdings – ich geb’s zu – kostet es schon ein bisschen Überwindung, dieses noch warme Stückchen Herzmuskel zu essen. Nicht, weil es schlecht schmecken würde – ganz im Gegenteil, es hat eine feine, nussige Note und ist unglaublich zart. Es ist mehr das Bewusstsein, dass wir hier das Zentralorgan eines Tieres verkosten, das vorhin noch über die Wiese gelaufen ist und sich im Schlamm gesuhlt hat. 

Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen 
Für nachdenkliches Grübeln bleibt jedoch nicht viel Zeit, denn Max Stiegl läuft jetzt zu Hochform auf: Es gibt die erste Innerei zu essen: Hirn mit Ei. Wie bitte? Schweinehirn? Jawohl. Allerdings nicht von dem gerade geschlachteten Tier, sondern aus einem hohen Glas, in dem ca. 35 Schweinehirne schwimmen. Um zwölf Stunden lang 150 bis 180 Gäste zu versorgen, würde das eine Schwein nicht ausreichen, und die Zubereitung würde auch zu lange dauern. Deshalb gibt es bei jedem Sautanz diverse kulinarische Köstlichkeiten, die Max schon vorbereitet hat. Das Hirn gehört dazu, die später servierte in kleinen Stücken gebratene Leber, der riesige Schinken, der schätzungsweise acht bis zehn Stunden im Rohr war, und manches mehr. 

Jetzt also erstmal Hirn mit Ei. Die etwa faustgroßen Schweinehirne fallen zischend auf die heiße, in drei Sektoren geteilte Metallplatte, die von unten über ein Holzfeuer erhitzt wird. Aus einer großen Schüssel wird das schon geschlagene Rührei dazu gekippt und großzügig mit Salz, Pfeffer und – unverzichtbar! – Majoran gewürzt. Noch ein Schuss Ajvar dazu, dieses delikate, von Max Stiegl natürlich selbst zubereitete Püree aus Paprika, Auberginen und Peperoni, eine slawische Spezialität. Es schmeckt es vorzüglich. 

Und so geht es den Tag über weiter. Die Helferinnen und Helfer sind immer in Aktion, ebenso der Chef, an dem ein Conférencier verlorengegangen ist. Über ein Headset und am Eingang aufgestellte große Lautsprecher bespaßt er seine Gäste unermüdlich von früh bis spät. Diese probieren sich durch Sülze, Würste, Rippchen, Speck, durch geröstete Leber, geschmortes Herz in Rahm, saure, im Ganzen gegrillte Nierchen, gebratenes Bauchfleisch, von würziger Speckschicht gekrönte Koteletts und zartes Filet. Sie knabbern mit Ajvar und frisch geriebenem Meerrettich überzogene Stücke vom Schweineohr, sie probieren geschnittenen Tatar, sie knuspern krachend die Schwarte vom Braten und nähern sich neugierig sogar dem Rüssel auf dem Grill. Fast wie eine Erlösung von all dem Fleischgenuss wirken zwischendurch die Topfenknödel mit wunderbar buttrigen Semmelbröseln – sie zergehen auf der Zunge.

Dass es mittlerweile zu schneien begonnen hat, stört hier niemand. Wird man eben ein bisschen nass, na und? Das gute Essen, die feinen Weine und die heitere Stimmung halten warm – von innen. 

Ohren, Schwänze und diverse Fleischstücke garen mit Suppengemüse und ganzen Zwiebeln in großen Kesseln über offenem Feuer – Kesselfleisch nennt man das. Es wird viele Stunden später deftig mit Knoblauch und – natürlich! – Majoran gewürzt serviert. Ebenso der von fleißigen Händen in viele kleine Würfel geschnittene Speck, der in einem riesigen Bottich ausgelassen wird und die begehrten „Grammeln“ hervorbringt. Durch eine Kartoffelpresse gedrückt und somit vom meisten Fett befreit sowie mit Salz und Knoblauch bestreut, sind sie eine köstliche Knusperei zum x-ten Glas Ruländer, Zweigelt, Blaufränkisch oder Welschriesling. Ein Teil des Specks wird mit Kräutern eingelegt und ergibt später Lardo – hauchdünn aufgeschnitten eine aromatische Delikatesse. Das Schwein am Galgen wird derweil immer weniger – Stück für Stück wandern die Einzelteile auf die Verarbeitungstische oder in die Küche. Zum Schluss ist nur noch der Kopf übrig. 

Aus der Küche kommt inzwischen die fertig zubereitete Blutwurstmasse zurück und muss jetzt noch in die Därme gepresst werden – eine Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Diese Blunzn werden nur teilweise heute noch verspeist – die meisten wandern in den Vorrat für den nächsten Sautanz. 

Den Abschluss bilden die im mittlerweile voll ausgelassenen Schweineschmalz gebackenen Krapfen aus Hefeteig. Ein Schuss Marmelade wird ihnen noch verpasst und Puderzucker – und dann wandern sie in die schon wieder aufnahmebereiten Bäuche der Gäste. 

Am Abend sind alle ebenso satt wie erschöpft – um 20 Uhr ist Schluss mit dem Sautanz, denn die Aufräumarbeiten werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen, schließlich ist am nächsten Tag wieder normaler Gästebetrieb auf Gut Purbach. 

Kritik bleibt nicht aus 
Natürlich stößt so ein Ereignis nicht auf ungeteilten Beifall. Manch einer hat in Bewertungen im Internet bemeckert, dass man den ganzen Tag nur habe rumstehen müssen (was nicht stimmt, man kann sich in der Gaststube hinsetzen, und auch im Eingangsbereich sind Sitzgelegenheiten vorhanden), dass der Sautanz ein nur auf Effekt bedachtes Event sei, dass man doch eher weniger Fleisch essen sollte, und was man sonst noch so alles ins Feld führen kann. 

Nun – wer sich ein bisschen schlau macht, weiß vorher, was ihn hier erwartet. Keiner muss sich das antun. Wer kommt, tut dies freiwillig. Und ja klar ist das auch ein Event, eine Party, ein Stelldichein. Es ist kein traditionelles Schlachtfest, und doch ist es eines. Weil es anknüpft an eine alte burgenländische Tradition. Und weil es mit einem aufrichtigen Anliegen verbunden ist. Das Event, die Party, ist der Transmissionsriemen, mit dem Max Stiegl den Menschen nahebringt, wie gut gerade die Teile vom Tier schmecken, denen man sich sonst nur zögerlich, mit großem Vorbehalt oder gar nicht nähert. Der Gruppeneffekt ist dabei bewusst einkalkuliert: Wenn einer sich traut, trauen sich auch die anderen … Beim Sautanz kann man alles probieren – und weglassen, wozu man keine Lust hat oder was einem zuwider ist. Und doch: Probieren geht über studieren. Es ist DIE Chance, Neues zu wagen, sich Gerichten anzunähern, von denen man bislang nur mit schaurigem Gruseln gehört hat. 

Max Stiegl ist dabei ein begnadeter Menschenfänger und Unterhalter. Vor allem aber ist er ein immer aus vollem Herzen um das Wohl seiner Gäste bemühter Wirt. X-mal fragt er zwischendurch, ob es allen gut geht, ob sie genug zu essen und zu trinken haben (und isst selbst kaum etwas während des Tages, Alkohol konsumiert er ohnehin nicht). Die Zusammenarbeit mit den vielen helfenden Händen funktioniert reibungslos, nie hat man das Gefühl, dass hier einer kommandiert und alle müssen spuren. Es ist vielmehr ein gemeinsames Zusammenwirken auf Augenhöhe. Mit jeder und jedem. Sogar mit dem Stiegl-Nachwuchs – die drei Söhne helfen bereits mit großem Eifer mit und werden zwischendurch immer wieder liebevoll in den Arm genommen. 

Es ist diese Haltung, die so einen Sautanz so wertvoll macht: den Menschen von heute wieder bewusst zu machen, dass man nichts wegwerfen muss von einem Tier, das ohnehin hat sterben müssen. Auch nicht die Blase, die Max Stiegl für sein inzwischen berühmtes „Huhn in der Blase“ verwendet – ein in der Schweinsblase gebratenes und deshalb wunderbar saftig bleibendes Federvieh. Dass es nur auf die richtige Zubereitung der jeweiligen Teile ankommt, die gar nicht so schwer ist und auch nicht besonders raffiniert sein muss. Dass man nicht jeden Tag Fleisch auf dem Teller haben muss, sondern sich lieber mit weniger begnügt, dies aber in bester Qualität. 

In diesem Sinne ist Max Stiegl durchaus eine Art Missionar. Aber einer, der seinen Gästen alle Freiheit lässt. Niemand muss bei ihm essen. Veganer brauchen sich gar nicht erst auf den Weg zu machen. Aber wer es tut, wird sehr gut und mit aller Aufmerksamkeit bewirtet. Auch an ganz normalen Tagen in seinem Restaurant oder als Übernachtungsgast in seinem Boutiquehotel (und wer dort nicht mehr unterkommt, wird an eine der privaten Unterkünfte in Purbach vermittelt). Das Burgenland mit seinen Weingütern und seiner sanften Landschaft ist ohnehin immer eine Reise wert. 


Die nächsten Sautänze finden am 6., 20. und 27. Januar 2024 auf Gut Purbach statt und dann wieder im November 2024. Im Oktober 2024 gibt es „Sautanz on Tour“ im Grafengut am Attersee im Salzkammergut und im Bio-Hotel Walserstuba in Riezlern im Kleinen Walsertal. Das Buch „Sautanz“ ist erschienen im Servus-Verlag und kann für 25 Euro direkt bei Max Stiegl bestellt werden. 

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Nicht nur eine Reise wert

Ikaria - Blick vom Balkon
Der Blick vom Balkon unserer Wohnung – nirgendwo ist das Arbeiten schöner.
Sonnenuntergang auf Ikaria
Kitschig schön – der Sonnenuntergang.
Wilde Wellen
An windigen Tagen sind die Wellen so hoch, dass an ein Bad im Meer nicht zu denken ist.

Ikaria ist eine der griechischen Inseln, die noch nicht von Touristenmassen überlaufen ist – und das, obwohl sie direkt neben Mykonos gelegen ist, ein Stückchen weiter östlich. Zu diesem Sehnsuchtsort haben mich meine beiden Freunde gebracht: Holger Badekow, 42 Jahre lang Fotograf des Hamburg Balletts John Neumeier, und Victor Hughes, ehemaliger Tänzer und Ballettmeister in derselben Kompagnie. Beide fahren schon seit Jahrzehnten jeden Sommer für fünf bis sechs Wochen nach Ikaria. So lange halte ich es dort nicht aus – aber für knapp zwei Wochen komme ich gerne mit. Noch dazu, wenn ich etwas Arbeit mitnehmen kann und dort im Schatten großer, einzigartiger Nadelbäume beim Zirpen der Zikaden und dem beruhigenden Geräusch der anbrandenden Wellen Texte erarbeiten oder korrigieren kann. 

Schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug umfängt einen der einzigartige Duft der Insel – eine Mischung aus wilden Kräutern, Blüten und Meer. Fast immer weht eine sanfte Brise, die durchaus auch im Juli mal so auffrischen kann, dass man sich ins Innere des Hauses verzieht. Der Tagesablauf ist typisch mediterran: das Frühstück auf dem Balkon ist obligatorisch, das Bad im Meer ebenso, die Mittagshitze wird mit einer ausgedehnten Siesta ignoriert, der Nachmittag gehört wiederum dem Schwimmen oder dem Lesen, und ab 18 Uhr spätestens findet man sich auf dem Balkon zum Sundowner ein. Erst danach gibt es Abendessen – gerne in einem der kleinen, familienbetriebenen Restaurants in der Nähe. 

Es gibt eine Reihe von erschwinglichen Hotels, alle mit Blick aufs Meer oder auch Ferienhäuser und -wohnungen. Möge es noch lange so bleiben. 

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