Und hier folgt Teil 2 meiner Empfehlungen für eine gute Sommerlektüre, die natürlich auch für den Herbst und Winter oder das Frühjahr des kommenden Jahres gilt!
Zwei kritische Blicke auf die Corona-Zeit
Mehrfach wurde in den vergangenen Monaten angemahnt, die Corona-Zeit mit all ihren Maßnahmen und Einschränkungen gründlich aufzuarbeiten. Die geleakten RKI-Files waren dafür ein Anfang. Jetzt liegen zwei Bücher vor, die jedes auf seine Art einen wichtigen Beitrag zu dieser dringend nötigen Aufarbeitung leistet.
Das erste stammt von Bastian Barucker, der mit seinem YouTube-Kanal schon in der Corona-Zeit immer wieder wertvolle Informationen lieferte und auch an der Veröffentlichung der RKI-Files beteiligt war. Sein Buch fasst verschiedene Beiträge zur diesen Corona-Protokollen des Robert Koch Instituts zusammen. Es ist eine Sammlung von Beiträgen verschiedener Autorinnen und Autoren, die eine kritische Sicht auf Lockdowns und Impfpficht-Versuche, auf Schulschließungen und Grundrechtseinschränkungen eint. Dazu gehören neben Bastian Barucker selbst die Journalistin Aya Velázquez (sie hat am 24. Juli 2024 die geleakten RKI-Protokolle ungeschwärzt veröffentlicht), der Journalist und Mitherausgeber des Online-Magazins "Multipolar" Paul Schreyer (der als erster in einem jahrelangen Rechtsstreit die Herausgabe und Entschwärzung der RKI-Protokolle eingefordert hat), der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, die WELT-Redakteurin Elke Bodderas, Neurowissenschaftlerin Valeria Petkova, die Wissenschaftler Prof. Dr. rer. nat. habil. Oliver Hirsch und Dr. med. Kai Kisielinksi, der Kinderarzt Dr. Alexander Konietzky (Ärztlicher Geschäftsführer der “Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.”, die Biologin Sabine Stepel, der frühere Nachrichtenchef der “Berliner Zeitung” und heutige Chefredakteur des “Nordkurier” Philippe Debionne, die Journalistin Ruth Schneeberger (2020-2025 Ressortleiterin Gesundheit bei der “Berliner Zeitung”, zuvor 15 Jahren lang bei der Süddeutschen Zeitung tätig), der Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht Volker Boehme-Neßler, der Rechtsanwalt Sebastian Lucenti und die ehemalige Richterin Franziska Meyer-Hesselbarth sowie die Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung Frauke Rostalski, seit 2020 Mitglied des Deutschen Ethikrates, wo sie zu den vier Mitgliedern gehörte, die in der Ethikrat-Stellungnahme gegen eine erweiterte Impfpflicht gestimmt haben.
Schon diese illustre Liste zeigt, dass in diesem Buch das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet und der Kenntnisstand aus unterschiedlicher Warte analysiert und eingeschätzt wird. Es ist ein Buch, dem man eine weite Verbreitung wünscht. Dass es bisher von den Medien weitgehend totgeschwiegen wird, spricht für sich.
Bastian Barucker (Hrsg.): Vereinnahmte Wissenschaft
Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts
252 Seiten, Softcover
Massel Verlag, 22,90 Euro
Das zweite Buch stammt aus der Feder von Anders Tegnell, Arzt und Infektionsspezialist und von 2013 bis 2022 Staatsepidemiologe bei der schwedischen Behörde für öffentliche Gesundheit (bei der Abfassung des Buches wurde er unterstützt von der Journalistin Fanny Härgestam). Tegnell war maßgeblich verantwortlich für den “schwedischen Weg” durch die Corona-Zeit. Sein Hauptmotiv dabei: Eigenverantwortung statt Zwang. Tegnell selbst sagt dazu: “Wir verließen uns auf die schwedische Praxis der Freiwilligkeit und Eigenverantwortung, statt auf feste Regeln zu setzen. Wir wollten die Schwedinnen und Schweden langfristig und dauerhaft schützen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen mussten zu unserer heterogenen Gesellschaft passen, vom dicht besiedelten Stockholm bis zu den dünn besiedelten Regionen Norrlands. Das ist für mich besonders wichtig. Ich glaube nicht an ‘one size fits all’.”
Tegnell stellt darin dar, wie und warum er zu seiner Linie kam, wo auch er Fehler gemacht hat und welchen Fragen er sich stellen musste. Er zeigt auf, welchen Mut es erforderte, aber auch wie viel Gelassenheit, Langmut und Stehvermögen, gepaart mit wissenschaftlicher Aufrichtigkeit, um Schweden erfolgreich durch diese schwierige Zeit zu manövrieren. Dieses Buch sei deshalb vor allem all denjenigen eindringlich ans Herz gelegt, die den Erfolg des schwedischen Weges bezweifeln, die Anders Tegnell nicht nur einmal als leichtfertig und unverantwortlich diskreditiert haben. Sie werden sehen, dass er alles andere als ein Luftikus war. Er hat sich lediglich nicht ins Bockshorn jagen lassen von unbewiesenen Behauptungen, und er wusste, dass Angst der schlechteste Ratgeber ist, vor allem in Krisensituationen. Sein Weg war der des Vertrauens in die Eigenverantwortung der Menschen. Dass das Land damit letztlich viel besser durch die Corona-Zeit gekommen ist als die meisten anderen in Europa, zeigt, dass er Recht hatte. Deutschland hätte sich daran ein Beispiel nehmen sollen.
Anders Tegnell mit Fanny Härgestam: Der andere Weg.
Eigenverantwortung statt Zwang: Wie Schwedens Chef-Epidemiologe die Pandemie zähmte
288 Seiten, Hardcover
Benevento Verlag, 26 Euro
Erinnerung an eine mutige Frau
Es ist der Urenkel, der mit diesem Buch seiner Urgroßmutter ein Denkmal setzt: Henning Sußebach, geborten 1972, mehrfach preisgekrönter Redakteur bei der Wochenzeitung DIE ZEIT, erinnert damit an Anna Kalthoff (1866–1932). Sie wurde 1887 als neue Lehrerin in ein gottverlassenes Nest im tiefsten Sauerland versetzt. Aufgrund ihrer unkonventionellen Art stößt sie rasch an Grenzen und findet erst über einige Umwege und Hindernisse zu ihrem Lebensglück.
Gut 150 Jahre später rekonstruiert Sußebach anhand von Fotos, Poesiealben, Postkarten, einem Kaffeeservice und einem Verlobungsring die Geschichte seiner Urgroßmutter. Er kombiniert die bruchstückhaften Erinnerungen mit historischen Ereignissen, die in diesen Jahrzehnten das Leben in Deutschland und der Welt geprägt haben. Auch wenn vieles an dieser Schilderung zwangsläufig fiktiv bleiben muss, so entsteht doch ein anschauliches Kaleidoskop, das nicht nur eine mutige, ungewöhnliche Frau portraitiert, sondern gleichermaßen auch ein Sittenbild der Gesellschaft ihrer Zeit abgibt.
Henning Sußebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt
Die Geschichte meiner Urgroßmutter
205 Seiten, Hardcover
C.H. Beck Verlag, 23 Euro
Eine bewegende Geschichte aus der Nachkriegszeit, brillant erzählt
Es sind oft die düsteren Zeiten, die die bewegendsten Geschichten hervorbringen. Susanne Abel, die schon mit ihren beiden Bestsellern “Stay away from Gretchen” und “Was ich nie gesagt habe” Furore gemacht hat, legt nun ihren dritten Roman vor. Auch er befasst sich mit einem bislang weitgehend totgeschwiegenen Kapitel deutscher Geschichte: dem Schicksal von Heimkindern und Kriegswaisen in der deutschen Nachkriegszeit. Viele wissen nichts über ihre Herkunft, sie sind verloren in all den Trümmern, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat.
Susanne Abel erzählt in der ihr eigenen unmittelbaren und mitten ins Herz treffenden Art die Geschichte von zwei solchen Waisenkindern von 1945 bis heute. Sie schildert unverblümt die katastrophalen Zustände in den Kinderheimen mit ihrer schwarzen Pädagogik, mit unsäglichen Strafen bei harmlosesten Verstößen gegen Disziplin und Verbote. Es ist kaum zu ermessen, wie groß das Leid dieser Kinder war und wie sehr sie auch noch im Erwachsenenalter darunter gelitten haben müssen, meist im Verborgenen, voller Scham über das Erlebte und die damit verbundenen Erniedrigungen. Und kaum zu ermessen ist auch, in welch großem Maß sich all das auf die nachfolgenden Generationen ausgewirkt haben muss und bis heute auswirkt.
Bleibt zu wünschen und zu hoffen, dass Susanne Abel damit ein Tor aufgestoßen hat, damit die heutige Töchter- und Söhne- bzw. Enkelgeneration bei ihren Eltern und Großeltern nachgräbt und durch Anteilnahme und Interesse dazu beiträgt, dass dieses düstere Kapitel aufgearbeitet wird und die Betroffenen aus ihrem Schweigen erlöst werden.
Susanne Abel: Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104
544 Seiten, Hardcover
dtv, 24 Euro
Anschauliche Innenwelt
Mit ihrem Bestseller “Darm mit Charme” hat die Ärztin Giulia Enders schon vor über zehn Jahren einen Überraschungs-Bestseller mit Millionenauflage geschrieben – damals noch als 23-Jährige Studentin. Mit ihrem unbekümmert-direkten Schreibstil nahm sie diesem zentralen Organ unseres Körpers den Nimbus des schamhaft Verschwiegenen und rückte es in seiner Bedeutung für den ganzen Organismus an die richtige Stelle. Jetzt hat Enders erneut zur Feder gegriffen und sich allem Organischen gewidmet, das unseren Körper ausmacht.
Dazu schreibt sie selbst im Vorwort: “Den Körper zu verstehen nützt nicht nur, um Krankheiten vorzubeugen. Unsere Organe haben einen wesentlichen Anteil daran, was es heißt, wir selbst zu sein. Sie beeinflussen zentrale Fragen, etwa: Was brauchen wir wirklich? Wie gehen wir mit Bedrohung um? Auf welche Weise wollen wir einander behandeln? Oder auch: Was können wir leisten und auf welchem Weg? Verstehen wir die Antworten des Körpers besser, können wir ein stimmigeres Leben führen. (…) Egal, wie laut die Welt um uns herum ist, ob sie auf Klicks basiert, auf Nullen und Einsen und auf nichts dazwischen, es ändert nichts an unserem innersten – wir sind organische Wesen. Verbunden über Fasern, verweben wir die Fähigkeiten der Organe zu einer einzigartigen Lebendigkeit. Wir erfinden uns andauernd neu, formen uns um und bleiben gleichzeitig Millionen Jahre alt. Es gibt eine Stimme, die uns an all das erinnert. Ihre Sprache zu sprechen macht uns zu Ureinwohnern unseres Selbst: Organisch."
Und wie schon in “Darm mit Charme” lässt Enders durch viele, locker aufbereitete Geschichten über unsere Innenwelt die Leserin und den Leser staunen über das die Wunderwelt des Menschen, die sich in unserem Körper auftut. Über das fein abgestimmte Zusammenspiel, die unendlich vielen Verflechtungen, die komplexe Kommunikation zwischen Geweben, Blut und Nerven, zwischen Sinnen, Muskeln und Organen. Sie öffnet damit einen Blick auf das Wesentliche: auf die Ganzheit des Menschen, der so viel mehr ist als die Summe seiner Teile.
Allerdings berücksichtigt Giulia Enders hier nur einen Teil der Organe, konkret geht es ihr um die Lunge, das Immunsystem (das nicht wirklich ein Organ ist), die Haut, die Muskeln (auch sie fallen nicht unter den strengen Begriff eines Organs) und das Gehirn. Das tut der Lektüre jedoch keinen Abbruch, findet Enders doch in dem ihr eigenen leichtfüßigen Stil einen guten Weg, den Menschen nahezubringen, wie wichtig der Körper für ihr Befinden ist, nicht nur physisch, sondern ebenso psychisch und geistig. Und so lernen wir einmal mehr ein Staunen über die Komplexität und das wundersame Zusammenwirken unseres Organismus. Wie sie so schön in ihrem Vorwort sagt: “Ein Blick auf den Körper half mir, Mensch zu sein.” Möge es vielen anderen ebenso ergehen.
Giulia Enders: Organisch
336 Seiten, Hardcover
mit Illustrationen von Jill Enders
Ullstein Verlag, 24,99 Euro
Thomas Mann, mal anders
Anlässlich des 150. Geburtstages von Thomas Mann gab es so einige Bücher. Eines der interessantesten davon ist die romanhafte Schilderung der jungen Jahre des Nobelpreisträgers für Literatur von Heinrich Breloer, der sich schon im Rahmen seiner Thomas-Mann-Verfilmung von “Die Buddenbrooks” und der Familiengeschichte “Die Manns” als Experte für diesen Schriftsteller empfohlen hat. Sein neues Werk “Ein tadelloses Glück” beschäftigt sich nun mit den jungen Jahren Thomas Manns, mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die für seine versteckte Homosexualität und die Verbindung mit Katja Pringsheim maßgeblich war.
Breloer bringt uns dabei in diesem fiktiven Roman, der auf einer sorgfältigen Analyse der verschiedenen Quellen beruht, die uns heute über das Leben Thomas Manns zur Verfügung stehen (darunter auch die Tagebücher von Katjas Mutter, der Schauspielerin Hedwig Pringsheim), einen Menschen nahe, der zerrissen war zwischen seiner Neigung zum gleichen Geschlecht, über die er mit niemandem sprechen konnte, und den bürgerlichen Zwängen seiner Zeit – Homosexualität war damals ein absolutes Tabu, ein pathologisiertes No-Go. Seine Neigungen musste Thomas Mann deshalb hinter einer kühlen Unnahbarkeit verstecken, nur in seinem literarischen Werk durfte er sie – mehr oder weniger verklausuliert – offenbaren. Dennoch, so sagte Breloer bei der Buchvorstellung Mitte Mai in Hamburg, war es ein riskanter “Ritt auf der Rasierklinge”.
Dass er trotzdem um Katja Pringsheim warb, lag an der herben Androgynität dieser Frau, an ihrer tiefen Stimme, und natürlich auch an ihrer Klugheit. Natürlich wusste sie um seine Neigung, natürlich war ihr klar, dass er trotz der fünf Kinder bei jedem schönen Jüngling schwach wurde und dennoch wusste, dass es nie möglich sein würde, eine solche Liebe zu leben. Katja wusste, dass sie nie solche Gefühle in ihm würde auslösen können, und trotzdem hielt sie ihm die Treue, managte sein Leben, damit er schreiben konnte. Denn die Literatur war sein Ventil, um nicht an den unterdrückten Gefühlen ersticken zu müssen.
Und so wird deutlich, dass dieses Glück zwischen Katja und Thomas Mann nur äußerlich ein tadelloses war, und dass beide – Thomas Mann selbst ebenso wie Katja – dafür einen hohen Preis bezahlt haben, bis hin zur Selbstverleugnung. Gerade deshalb ist dieses Buch eine lohnende Lektüre.
Heinrich Breloer: Ein tadelloses Glück
Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolgs
464 Seiten, Hardcover
DVA, 26 Euro