Es gibt kaum etwas Besseres, als von Originalquellen etwas zu erfahren, was man sonst nicht unbedingt erleben könnte. So geht es einem auch mit diesem Buch. Hadley Vlahos, Krankenschwester und Fachkrankenpflegerin für Hospizpflege aus der Nähe von New Orleans in den USA, fasst in diesem Buch ihre vielfältigen Erlebnisse zusammen. Damit führt sie uns in Gefilde, die wir sonst gerne zu vermeiden wissen und uns gerne drum herum schummeln: die letzten Tage im Leben eines Menschen. Erlebnisse im Grenzgebiet zwischen Leben und Tod, im Niemandsland. Es sind zwölf berührende Geschichten von Menschen, wie sie in ähnlicher Form in aller Welt tagtäglich stattfinden. Leider viel zu oft nicht in der nötigen Würde, mit der nötigen Pflege und dem unabdingbaren Verständnis für diese ganz besonderen Monate, Wochen, Tage, Stunden.
Warum es so oft Erfahrungen von Fachleuten aus anderen Ländern sind – hier aus den USA –, zeigt, dass das Thema in Europa, und vor allem in Deutschland, immer noch weitgehend tabuisiert wird. Zwar gibt es inzwischen deutlich mehr Literatur zum Thema Sterben und Tod, aber was dabei konkret passiert, wie die Menschen sich fühlen, was sie brauchen, woran es immer noch hapert, das bleibt eben doch weitgehend im Dunkeln, im Bereich der Scham, des Vermeidens, der Abwehr. Und es sind gerade die Kranken- und Palliativschwestern, die sich hier engagieren und den Mund aufmachen, um das Ganze aus der Tabuzone herauszuholen.
Zwölf Fallgeschichten hat Hadley Vlahos als Grenzgängerin zwischen den Welten hier zusammengetragen. Es sind zu Herzen gehende Erlebnisse, die genauso gut auch hierzulande hätten geschehen können. Und doch wieder nicht, denn die schrankenlose Offenheit, mit der Vlahos hier berichtet, diese schutzlose Ehrlichkeit, bringen nur wenige Menschen auf. Es ist aber gerade dies das große Pfund, mit dem dieses Buch wuchern kann. Weil es so echt ist. Weil es so gnadenlos aufrichtig ist. Weil jede und jeder sofort versteht, worum es geht und worauf es ankommt.
Deshalb sei diesem Buch eine weitestmögliche Verbreitung gewünscht – wir alle können daraus lernen. Und uns kann es, wenn es dann soweit ist und uns die Gnade des bewussten Abschiednehmens aus diesem Erdenleben vergönnt sein sollte, ermutigen, rechtzeitig die Weichen zu stellen und für eine adäquate Umgebung für diesen Himmelsgeburtstag zu sorgen, der genauso wichtig und gestaltbar ist wie der Eintritt in das Leben selbst, die Geburt. “Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch; wenn ein Mensch stirbt, wird er Geist” – das sagte einst Novalis (1772–1801) so weise. Hier liegt ein Zeugnis vor, dass er damit nur allzu recht hatte.
Hadley Vlahos: Zwischen den Welten
Was ich als Hospizschwester über die Grenze zwischen Leben und Tod gelernt habe. Zwölf unvergessliche Erlebnisse.
288 Seiten, Hardcover
22 Euro
Kösel Verlag, München