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Hommage an eine mutige Frau

Das Filmplakat
Freiheit statt Disziplinierung: Maria Montessori (Jasmine Trinca) hat verstanden, welche Schätze in den Kindern verborgen sind. © Neue Visionen Filmverleih
Die Französin Lili d’Alengy (Leïla Bekhti) hat ihre behinderte Tochter jahrelang versteckt, muss dann aber Verantwortung für sie übernehmen und kann sie in Maria Montessoris Institut unterbringen. © Neue Visionen Filmverleih
Partner, Liebende, Konkurrenten: Marias (Jasmine Trinca) und Giuseppes (Raffaele Esposito) Beziehung hat viele Gesichter, bis er sich den Konventionen beugt und eine fügsamere Frau Maria vorzieht. Damit entzieht er ihr auch die Arbeitsgrundlage in dem gemeinsamen Institut, und Maria muss ihren eigenen Weg finden. © Neue Visionen Filmverleih
Ein schicksalhaftes Bündnis: Zwischen Maria Montessori (Jasmine Trinca) und Lily d’Alengy (Leïla Bekhti) entsteht eine Freundschaft auf Augenhöhe. Lily verschafft ihr Zugang zur wohlhabenden Gesellschaft und damit zu Geldgebern für ihr eigenes Institut. © Neue Visionen Filmverleih

Am 7. März kommt ein neuer Spielfilm über Maria Montessori (1870–1952) in die Kinos. Er zeichnet ein sehr anderes Bild von dieser mutigen Frau als Sabine Seichter jüngst in ihrem Buch "Der lange Schatten Maria Montessoris - Der Traum vom perfekten Kind", mit dem sie in den Medien große Aufmerksamkeit erhielt. Darin wird Maria Montessori bezichtigt, Kinder nach ihrer Vorstellung perfektionieren zu wollen, auch im Sinne von Rassentheorie und Eugenik. Es sei dahingestellt, was an diesen Beschuldigungen wahr ist oder nicht – ich kann und will das hier nicht weiter vertiefen. Interessant ist dazu jedoch ein Beitrag auf der Bildungsplattform "News4teachers", wo Heiner Barz die Aussachen Sabine Seichters als "höchst einseitig und über weite Strecken falsch zu gespitzt" kritisiert. 

Zurück zum Film. Dieser zeigt eine Frau, die für ihre Mission brennt, mit behinderten Kindern anders umzugehen, als das in dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts üblich war. Damals hielt man sie für "Idioten" und sperrte sie in „Irrenanstalten“ weg, wo sie in heute unvorstellbarer Weise vor sich hin vegetieren mussten. Maria Montessori, eine der ersten Ärztinnen Italiens, steht dagegen für eine menschliche Pädagogik, die das Kind in seinem So-Sein respektiert, es genau beobachtet und in seinen Fähigkeiten gezielt mit verschiedenen Methoden fördert. 

Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, gibt Maria sogar den eigenen Sohn Mario schon als Baby in die Obhut einer Bäuerin. Er entstammt einer nicht legalisierten Verbindung mit ihrem Arztkollegen Giuseppe Montesano, mit dem zusammen sie ein pädagogisches Lehrerbildungsinstitut leitet, wo behinderte Kinder betreut werden. Die Lorbeeren für die dort angewandte erfolgreiche Pädagogik, für die sich jedoch nur wenige aus der Wissenschaft interessieren und ungläubig auf die Erfolge starren, heimst in der patriarchalisch orientierten Gesellschaft aber natürlich der Mann ein, nicht sie. Obwohl Maria Giuseppe liebt und er sie, ist sie nicht bereit zu heiraten – sie möchte niemandem gehören und sieht in einer Ehe nur Fesseln für die eigene Weiterentwicklung. Das war damals durchaus berechtigt, denn der Mann hatte zu dieser Zeit die absolute Verfügungsgewalt über seine Ehefrau. Maria möchte sich dem nicht unterwerfen. Trotzdem versucht sie immer wieder, Giuseppe davon zu überzeugen, Mario zu sich zu nehmen und den gesellschaftlichen Zwängen die Stirn zu bieten. Dazu ist Giuseppe jedoch nicht bereit, und auch Marias Eltern stellen sich quer. So bleibt Mario bei der Bäuerin, und die Mutter wird ihm mehr und mehr entfremdet. 

In der französischen Maitresse Lily d’Alengy, die eine behinderte Tochter hat, die sie lange Zeit versteckt hielt, dann aber in Montessoris und Montesanos Institut unterbringen kann, findet Maria schließlich eine Verbündete. Lily erlebt an der eigenen Tochter die segensreichen Wirkungen der Montessori-Pädagogik und eröffnet ihr über ihre Verbindungen in wohlhabende Kreise die Möglichkeit, ihre Methoden unabhängig von Montesano anzuwenden und ein eigenes Institut zu gründen. Für Maria ist das die Rettung, denn Giuseppe hat ihr inzwischen kurzerhand die Beziehung aufgekündigt und sich mit einer anderen Frau verlobt, die gefügiger ist. Maria geht ihren eigenen Weg, und zu ihrer Freude kehrt Mario als junger Mann zu ihr zurück und arbeitet künftig mit ihr zusammen in ihrem Institut. 

Ein opulent gemachter Film mit großartigen Schauspielerinnen, der einen anderen, sehr menschlichen Blick auf diese bedeutende Frau eröffnet.

Maria Montessori
Drehbuch und Regie: Léa Todorov
Kamera: Sébastien Goepfert
Kostümbild: Agnès Noden
Schnitt: Esther Lowe
Produzenten: Grégoire Debailly, Carlo Cresto-Dina, Valeria Jamonte, Ilaria Malagutti, Manuela Melissano

Trailer auf YouTube

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Geschichte einer langen Liebe

Das Plakat zum Film
Eva und Dieter 1953 (c) Foto Eva und Dieter Simon
Eva und Dieter 1954, (c) Foto Eva und Dieter Simon
Eva und Dieter auf der Terrasse ihres Hauses, (c) Foto Julia Sellmann
(c) Foto Julia Sellmann
Die Regisseurin Pia Lenz, (c) Foto Henning Wirtz

Ein bewegender Film kommt am 23. November in die Kinos: "Für immer". Es ist die Dokumentation der letzten Jahre eines betagten Ehepaars, beide sind bereits über 80 Jahre alt. Von 2018 bis 2023 begleitete Pia Lenz Eva und Dieter Simon, die im Süden Hamburgs am Rande der Großstadt in einem idyllisch mitten im Wald gelegenen Haus leben. Sie meldeten sich auf eine Zeitungsannonce hin und waren bereit, sich von Pia Lenz über fünf Jahre hinweg filmen zu lassen. Es ist die berührende Geschichte einer langen Liebe, die durch viele Höhen und Tiefen gegangen ist, getragen von wechselseitigem Verständnis, aber auch immer wieder auf die Probe gestellt von zwei durchaus selbstbewussten Individualitäten. 

Im Winter 1952 tanzen Eva und Dieter das erste Mal miteinander, schüchtern, vorsichtig. Sie heiraten, bauen ein Haus, bekommen drei Kinder, verkraften gemeinsam den Unfalltod der zweiten Tochter, streiten sich und vertragen sich wieder, gehen fremd und verzeihen einander. So sind sie gemeinsam alt geworden. Eva ist inzwischen gebrechlich geworden, eine Lungenkrankheit und andere Probleme machen ihr zu schaffen. Ihre Kräfte schwinden zusehends, und Dieter kann nichts dagegen machen, nur unterstützen, helfen, sich kümmern. Und zusehen, wie seine Partnerin langsam immer schwächer wird, bis sie 2022 stirbt – zu Hause. Er bleibt allein zurück. 

Wie Pia Lenz diese Partnerschaft zeichnet, in ihren verschiedenen Etappen und Schattierungen, das ist sehr besonders – vor allem ist es nie voyeuristisch. Ungemein einfühlsam nähert sie sich diesen beiden alten Menschen, ihren Schrullen und Stärken, ihrer Lebensgeschichte, die durch Tagebucheintragungen auch noch Jahrzehnte nach dem jeweiligen Geschehen lebendig wird. Eva ist die Gesprächigere von beiden – sie reflektiert die gemeinsamen Jahre mit aller Ehrlichkeit und Offenheit, derer sie fähig ist, und sie lässt auch die eigenen Fehler nicht aus, die Unzufriedenheit mit der Rolle als Hausfrau und Mutter, aus der sie verschiedentlich ausbricht. Dieter, Architekt von Beruf, vergräbt sich immer wieder in seine handwerklichen Leidenschaften, werkelt am Haus und im Garten, baut sich und der Familie ein Nest, das zum Rückzugsort wird gerade in diesem hohen Alter. 

"Für immer" ist ein Film, den sich jedes Paar anschauen sollte – es lässt sich so viel daraus lernen. Vor allem dies: Dass eine große Liebe durch alle Täler und Schicksalsschläge trägt, dass diese Liebe aber auch immer wieder gehegt und gepflegt werden will, wenn sie diese dauerhafte Tiefe erreichen soll. 

 

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Beklemmender Rückblick

Das Plakat zum Film
Alexander Kluge bei den Dreharbeiten
Alexandra Kluge als Anita in "Abschied von gestern"
Alexandra Kluge als Anita in "Abschied von gestern"

Schon seit Mitte Oktober ist ein Film im Kino, der einen beklemmenden Rückblick in das Deutschland (Ost wie West) der 1960er Jahre darstellt: "Abschied von gestern" von Alexander Kluge aus 1966. Der Inhalt ist rasch umrissen: Eine junge Frau (gespielt von Alexandra Kluge, der Schwester des Regisseurs), als Kind jüdischer Eltern 1937 in Leipzig geboren und dort lebend, flieht in den Westen, weil sie sich dort ein freieres Leben erhofft. Aber rasch gerät sie mit der spießigen, kleinbürgerlichen Situation in Konflikt, beginnt zu klauen, wird erwischt und verurteilt. Aus dem Knast entlassen, versucht sie, sich neu und besser zu orientieren. Als Vertreterin einer Plattenfirma schwatzt sie Kunden überflüssiges Zeug auf, fälscht Aufträge, lässt sich auf eine Liebschaft mit ihrem verheirateten Chef ein, lebt über ihre Verhältnisse. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Der Chef zeigt sie an, wieder muss sie eine Zeitlang ins Gefängnis. Danach beginnt sie ein Studium, stürzt sich in eine Verbindung mit einem verheirateten Beamten. Und natürlich findet sie auch da nicht, was sie sucht. Und so kann der Abschied von gestern, von der Vergangenheit, nicht das werden, was er sein soll: ein Neubeginn, eine Zukunft. 

Als der Film 1966 erstmals in die Kinos kam, grenzte das schon fast an einen Skandal – deckte er doch schonungslos all das verkrampfte, verspießerte Getue auf, das die Gesellschaft seinerzeit dominierte. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, wie eng der Horizont war, in dem sich das Leben abspielte. Kein Wunder, dass er als Klassiker des "Neuen Deutschen Films" gilt und bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 1966 den Silbernen Löwen gewann sowie in der Folge zahlreiche weitere Auszeichnungen. 

Wer verstehen möchte, warum die Jugend 1968 die großen Proteste lostrat, wer eine Ahnung davon bekommen will, wie sich der Muff von 1000 Jahren nicht nur unter den Talaren zeigte, sondern gleichermaßen in jedem deutschen Wohnzimmer, in jeder deutschen Familie, der schaue sich dringend diesen Film an. Er ist ein zeitloses Dokument einer unschönen Zeit, in der die früheren Nazis – von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert – in alten Pfründen des gesellschaftichen Lebens fröhliche Urständ' feierten. 

 

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Zeitlose Liebe

Plakat
Das Filmplakat (c) Alamode Film
Fanny Ardant
Fanny Ardant als Shauna
Melvil Poupaud, Fanny Ardant
Melvil Poupaud als Pierre, Fanny Ardant als Shauna (c) Alamode Film
Fanny Ardant, Melvil Poupaud
Fanny Ardant, Melvil Poupaud (c) Alamode Film

Vor kurzem ist in den Kinos ein Film angelaufen, der besondere Aufmerksamkeit und viele Besucherinnen verdient: "Im Herzen jung" mit Fanny Ardant und Melvil Poupaud in den Hauptrollen. Ardant, inzwischen 74 Jahre alt, spielt darin die altersgleiche Architektin Shauna, die im Herbst ihres Lebens noch einmal der Liebe begegnet – zu Pierre, einem 30 Jahre jüngeren Mann. Es ist einer der berühmten Zufälle, der die beiden zueinanderführt. Pierre ist der Arzt, der die im Sterben liegende beste Freundin von Shauna im Krankenhaus in Lyon medizinisch betreut, gleichzeitig ein guter Freund seines Kollegen Georges, dem Sohn der Schwerkranken, die nicht weiter in Erscheinung tritt. Es sind nur wenige Minuten, sie trinken einen Kaffee zusammen. Und doch ist es eine Begegnung, die beide nicht vergessen, die aber vorerst keine weiteren Folgen hat. Pierre ist glücklich verheiratet mit Jeanne. Die beiden haben eine Tochter, in den kommenden Jahren kommt ein zweites Kind zur Welt, stirbt aber kurz nach der Geburt. Etwas später wird ein Sohn geboren. 

Erst 15 Jahre später kommen Pierre und Shauna – zufällig – wieder zusammen, als Georges, Pierre, der mittlerweile ein angesehener Onkologe ist, und eine weitere Kollegin einen Kongress in Dublin besuchen. Georges bittet Pierre, ihn nach Cork zu begleiten, wo er das Ferienhaus seiner Mutter besuchen will. Als sie in Wind und Wetter dort ankommen, öffnet Shauna ihnen die Tür – sie hat sich des Hauses in den vergangenen Jahren angenommen und ist immer wieder dort, wenn sie nicht in Paris zu tun hat. Sie erkennt Pierre nicht sofort wieder, er sie aber schon. Es folgt eine Nacht der Gespräche, der wechselseitigen Anziehung und des gegenseitigen Verstehens, aber beide halten Distanz und tauschen nur die Telefonnummern aus. Am nächsten Tag fahren Georges und Pierre wieder ab und kehren nach Lyon zurück. 

Irgendwann ruft Pierre Shauna an – er kommt nach Paris, um seine neuen Forschungsergebnisse zu präsentieren. Er lässt seinen Zug  sausen und verabredet sich mit Shauna, die an diesem Abend bei ihrer erwachsenen Tochter und deren Tochter zum Essen eingeladen ist. Die beiden nähern sich an, und Pierre übernachtet bei Shauna, bevor er am nächsten Tag nach Lyon zurückkehrt. 

Und so beginnt eine Lovestory der besonderen Art, denn beide wissen nicht, wie es weitergehen soll und wird. Umso weniger, als Shauna an Parkinson erkrankt ist und über kurz oder lang auf Hilfe angewiesen sein wird, was sie Pierre nicht zumuten will. Pierre wiederum muss damit fertigwerden, dass er durch seine Liebe zu Shauna, die er nicht mehr verbergen kann, seine kleine Familie vor den Kopf stößt und die Trennung von Jeanne unausweichlich wird. Aber allen Widrigkeiten und gesellschaftlichen Hindernissen zum Trotz finden die beiden schließlich doch zueinander – und das auf so glaubhaft würdige Art und Weise, dass diese Geschichte nie ins Kitschige abgleitet. 

Fanny Ardant spielt diese Shauna mit großer Kraft, aber auch großer Zerbrechlichkeit. Wie sie zögert, bevor sie sich auf Pierre einlässt, wie sie mit sich hadert, weil sie natürlich weiß, dass der große Altersunterschied und ihre Krankheit für beide zum Problem werden kann, vor allem, was ihre Freunde und Familien betrifft, das ist große Schauspielkunst. In ihrem Gesicht ist alles eingeschrieben, was eine Frau an Gefühlen in dieser Situation bewegen kann: Sehnsucht, Glück, Hingabe, Vertrauen, aber auch Angst, Verzweiflung, Zorn, Ohnmacht, Hilflosigkeit. Ein großartiger Film, ein großartiges Ensemble, eine souveräne Regie und eine hochsensible Kameraführung. Und ein Beweis, dass Liebe kein Alter kennt. 

Tipp: Den Film möglichst im französischen Original anschauen – die Stimmen sind so wichtig! 

IM HERZEN JUNG (Original: Les Jeunes Amants) 
Regie: Carine Tardieu
Drehbuch: Agnès de Sacy, Carine Tardieu, Sólveig Anspach
Kamera: Elin Kirschfink 
Shauna: Fanny Ardant
Pierre: Melvil Poupaud
Jeanne: Cécile de France 

Trailer (OmU)

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